Die politische Erzählung in den Bildern von Viola Boros

Die politische Erzählung in den Bildern von Viola Boros

Text: Wilhelm Unrau

Gedanken zur Ausstellung Viola Boros in Veszprem, städtisches Museum, „Csikasz Galeria”

Vesprem, Ungarn, vom 11.04.2015 bis zum 06.06.2015

„Der Mensch kann nicht nicht kommunizieren”, dieser einfache Satz von Paul Watzlawick, ich denke, er ist heute unumstritten. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er lebt in der Gemeinschaft anderer Menschen, er lebt in der Kommunikation.

Was aber hat das nun wieder mit Politik zu tun? Nun, sie ahnen, worauf ich als Politologin hinaus will: Diese Kommunikation ist Politik. Politik ist nicht nur das tägliche Theater im Fernsehen, in Zeitungen oder im Internet, das da auf hoher Bühne für die Öffentlichkeit gespielt wird und das ihr vorgespielt wird. Politik ist nichts weiter als die Art und Weise, wie die Menschen ihre Angelegenheiten regeln. Egal, wie sie es tun, regeln müssen sie diese ihre eigenen Angelegenheiten.

Jeder Mensch ist so gesehen ein politisches Subjekt. Und Beuys meinte, jeder Mensch wäre ein Künstler.

Jetzt haben wir drei Bestimmungen des Menschen: er kann nicht nicht kommunizieren, er ist ein politisches Subjekt und er ist ein Künstler. Das scheint zunächst vielleicht zu allgemein, um diesen Bestimmungen eine weiterführende Erkenntnis abzugewinnen. Und doch steht jeder Mensch täglich in diesem dreifachen Beziehungsgeflecht. Das mag ihm nicht bewußt sein, das mag ihm vielleicht nicht einmal behagen, das mag er sogar nicht wollen – entziehen kann sich der Mensch dem aber nicht. Und was für den Menschen allgemein gilt, gilt natürlich für die Künstlerin erst recht.

Die Bilder von Viola Boros sind Kunst mit einem hohen Anspruch an Kommunikation. Boros wendet sich mit ihren Billdern an die Öffentlichkeit anderer Menschen. Sie erzeugt mit ihren Bildern Aufmerksamkeit und sie erzeugt Zustimmung oder Ablehnung. Somit bewegt sie sich mit künstlerischen Mitteln, mit ihrer Malerei, im Zentrum der Kommunikation und hat so Anteil am gesellschaftlichen Diskurs. Dabei bennenen ihre Bilder das Thema dieser Kommunikation deutlich, ihr Sujet ist gegenständlich und die Menschen und Dinge in ihren Bildern beziehen sich in ihrer Farbigkeit und ihren Formen aufeinander. Und indem sie sich aufeinander beziehen, fangen sie an zu erzählen. Sie erzählen von ihrem Verhältnis zueinander. Sie stellen ihre Geschichte dar und sie fragen nach ihrer Perspektive.

Beispiel 1: „good girl gone bad”
(siehe “boom and crash”, Bild 1)


Eva verführt Adam mit einem Apfel am Baum der Erkenntnis im Paradies. Wie lange schon wird Eva diese Dummheit vorgehalten. Sie geht ein in die Geschichte als diejenige, die Adam verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen und damit tumb gegen das göttliche Gebot zu verstoßen. Nehmen wir das jetzt alles mal nicht zu ernst und zu wörtlich, dann kommt eine ähnliche Situation in vielen Geschichten von Göttern und Menschen vor. Helios zum Beispiel verbietet den Gefährten des Odysseus von seinen Rindern zu essen. Nun sind sie auf der Insel des Sonnengottes gesgtrandet, und sie haben Hunger. Der Rest ist bekannt.

Diese Geschichten sind immer so angelegt, dass der Mensch reinfallen muss. Er muss gegen das göttliche Verbot verstoßen. Eine andere Chance hat er nicht. Warum aber ist dann zumindest die Gesellschaft des alten und des neuen Testaments so nachtragend gegenüber Eva? Im gleichen Raum, auf der linken Seite neben dem Bild „good girl gone bad”, hängt das Bild: „sweet sixteen”. Woran erkennt der Betrachter, dass es sich hier um das Bild eines Teenies handelt. Letzten Endes genügen zwei Kreise, zwei Punkte, zwei vertikal nach innen gebogene Linien und eine horizontal gebogene Linie – und jeder weiß: Eva ist jetzt ein Teenie, ein junges Mädchen, das mit 16 noch als süß gilt. Eva ist komensurabel geworden, eingepasst in die Gesellschaft, sie wird ihrem Mann Kinder gebären und sicherlich eine glückliche Ehe führen. All das, was gut und was schlecht ist, zumindest das, was das Verhältnis von Männern und Frauen angeht, findet sich in diesen beiden Bildern. Und darin zeigt sich die Fähigkeit von Boros, in ihren Bildern Gesellschaft und Geschichte auf die Linie und auf den Punkt zu bringen. Knapper und klarer geht es nicht. Darin liegt ihre Stärke.



Make it stand out

Whatever it is, the way you tell your story online can make all the difference.


Beispiel 2 : „sweet sixteen”

Wenn Beuys nun sagt, jeder Mensch sei ein Künstler, so meint er das nicht in dem Sinne, dass jeder Mensche nun anfangen müsse, Objekte für den Kunstmarkt zu produzieren. Aber in jedem Menschen stecken Kreativität Phantasie und Intelligenz – und das sind die Eigenschaften, die der Mensch braucht, um die Kommunikation, die durch den Künstler, die durch die Kunst in die Gemeinschaft der Menschen getragen wird, verstehen zu können und sich damit auseinander zu setzen – oder eben auch nicht. Da der Mensch nicht nicht kommunizieren kann, ist natürlich auch das Abwenden, das sich verschließen eine Form der Kommunikation. Leider kommt sie viel zu häufig vor. Denn obwohl jeder Mensch mit Kreativität Phantasie und Intelligenz bei seiner Geburt ausgestattet ist, so ist es doch oft einfacher, genau diese Seite des Menschen verkümmern zu lassen. Diese Fähigkeiten werden von unserer westlichen Gesellschaft oft in ihrem Wer nicht erkannt. Der Fließbandarbeiter im Fordschen System der Automobilproduktion mußte eher gegen Langeweile resistent sein. Kreativ betätigen konnte und durfte er sich nicht. Wenn wir aber die Entwicklung zu einer immer weiter steigenden Produktivität sehen, so werden wir feststellen, dass den kreativen Fähigkeiten des Menschen im Zuge der Globalisierung und der Verfügbarkeit von Informationen im Internet eine immer größere Bedeutung zukommt.

Beispiel 3 “Obama we are watching you”

„Obama we are watching you”, und das haben die Menschen getan. Leider sind viele enttäuscht von einem Obama, der das „yes we can” nicht so umsetzen konnte oder wollte, wie er es seinen Wählern und den Menschen des Westens versprochen hat. Obama hat die Menschen während seines ersten Wahlkampfes 2008 durch eine konsequente Kommunikation über das Internet direkt angesprochen und einbezogen. Die selbstbewußte Ansprache, die klare Art auf Obama zu reagieren und eine Erwartung auszusprechen, weist aber auch auf den Betrachter zurück. Sie weist zurück auf die eigene Verantwortung, auf die Verantwortung jedes Menschen im und für den politischen Prozess. Wenn ich etwas beobachte, dann kann und dann muss ich es auch bewerten. Und wenn mir mein Urteil sagt, dass etwas nicht richtig ist, dann muss ich dazu Stellung nehmen – und in einem demokratischen Land kann ich das ja auch. Der Mensch ist ein politisches Subjekt, und als solches ist er auch verantwortlich für die Politik, die er zuläßt. Nun kann nicht jeder beliebig an Obamas Stelle treten. Aber jeder Mensch, der sich eine Meinung bildet, der zu einem Urteil fähig ist, beeinflusst seine Mitmenschen, indem und weil er darüber mit ihnen spricht. In einer Demokratie entscheiden immer Mehrheiten. Aber diese Mehrheiten bestehen aus einzelnen Menschen, aus Individuen, denn es gibt kein Gattungswesen, in dem der einzelne aufgehoben wäre. Dass wir Obama beobachten, das entläßt uns also nicht aus unserer Verantwortung. Im Gegenteil, genau das begründet sie.

Beispiel 4: Lampedusa, Installation

Lampedusa ist ein Schock. Ein Schock für Europa, das dem Elend in Afrika und der Tragödie im Mittelmeer zusieht. Natürlich kann Europa – und auch Ungarn – nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen. Aber geht es eigentlich darum? Wird nicht mit genau diesem richtigen Hinweis die Auseinandersetzung abgebrochen, verhindert. Boros verwendet ein Bild eines Flüchtingsbootes und ein Schild mit der Aufschrift Lampedusa für ihre Installation. Alle anderen Gegenstände stammen von alten verlassenen Farmen (Tanyas) aus der unmittelbaren Umgebung in ihrem Wohnort in Kunbabony. Ist das eine unzulässige Vermischung, was hat das eine mit dem anderen zu tun? Letzlich geht es um Verantwortung, um die Verantwortung jedes einzelnen für die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, wie sich die Menschen hier bei uns, in Europa, zu den Flüchtlingen stellen. Und es geht auch darum, zu erkennen, dass vieles von dem, was wir verlassen, für andere Menschen eine Chance für einen Neuanfang, für ein neues Leben bieten könnte.

Kunst kann nicht nicht politisch sein. Kunst spielt sich immer in einem gesellschaftlichen Rahmen ab. Das meint nicht den politischen Imperativ des sozialistischen Realismus. In einer freien Gesellschaft ist Kunst immer Teil des gesellschaftlichen Diskurses – und damit politisch. Politisch im Sinne eines freien sich bewußt Werdens und Begreifens der Lebensumstände und Verhältnisse, in denen Menschen sich bewegen.

Der sozialistische Realismus wollte die Kunst im gesellschaftlichen Raum zu klassenbewuten Aussagen zwingen. Und damit wurde Kunst vegewaltigt. „L art pour l art” wollte sich vor jeder Aussage drücken, was letztlich nicht möglich ist. Auf der aktuellen Bienale in Venedig (2015) wird die Fähigkeit der Kunst zur Aussage im gesellschaftlichen Raum betont. Die Kunst einer freien Gesellschaft nimmt sich so auch die Freiheit, die sie umgebenden gesellschaftlichen Verhältnisse, Umstände und Gegebenheiten zur Kenntnnis zu nehmen. Zwangsläufig kommt es so zu einer Aussage, die mit den Mitteln der Kunst, hier der Malerei, gestaltet wird. Wenn der Satz stimmt, dass Gedanken in Wirklichkeit getarnte Bilder sind (Horx), dann kommt der Malerei hier natürlich eine besondere Bedeutung und Befähigung zu.

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